Neuzeitliche Geistlichen

Das Ideologisch-Religiöse an der neuzeitlichen Lebensweise ist das Angebot über die gesamten Hilfe- und Orientierungsmöglichkeiten, die einem den Lebensalltag zu bestimmen versuchen, ohne dass man selber dabei etwas tun muss. Wenn es früher der Prophet war, der für den Menschen dachte, ihm das Leben und die Welt erklärte und die Möglichkeit gewährte, wie und was er in seiner Lebens- bzw. Weltbegegnung sein und tun soll, sind jetzt Psychologen, Psychotherapeuten, Fernseh-, Radio und Zeitungskommentatoren, die das tun. Dazu braucht man selber nicht zu wissen, wie das synthetische A, das in seiner komplexen und individuellen Synthesis gegeben ist, in seinem Dasein zu verstehen ist, sondern man muss darauf achten, ob b und b′ als Voraussetzungen erfüllt sind, damit das B im A der Fall wäre (Abgesehen davon, wie B überhaupt jeweils definiert worden ist und ob es eine fundierte Existenz hat oder nur fiktiv und leichtsinnig gedacht wurde!). Das gesamte Angebotspaket bietet gleichzeitig Umgangs- bzw. Verhaltensmaßnahmen, damit man auch weiß, wie man im Fall der erfüllten Voraussetzungen vom B zu A sein soll. Hierbei hat man genau wie in jeder ideologisch-religiösen Praxis sowohl den theoretischen als auch den praktischen Teil. Wenn mit dem Smartphone und allen anderen technischen Errungenschaften das materielle Leben dermaßen einfach werden kann, warum dann nicht dasselbe im geistigen Leben?  

Gettossäuberung!

Barry Lyndon nicht nur als eine bloße Roman- oder Filmfigur, sondern als das Symbol jener Welteinsamkeit, jenes Existenzkampfes und jener Schicksalsironie, wobei der unebenbürtige und durch den Zufall im Gebiet der Mächtigen gelandete Herumtreiber seine Unpassendheit, sein Außenseiter-Dasein, seine neiderregende Willensstärke und Stolzgröße aber auch seine äußerliche und mit der Kraft der Jugend versehene Überlegenheit durch Ressentiment, Feindseligkeit und Boykott seitens derjenigen büßen muss, die per Definitionem überlegen sind und es sein müssen. Das "Wegschicken" von Barry is also kein Ergebnis von seinen eigenen Verstoßen gegen den damaligen "political correctness"-Scheiß, sondern das unvermeidbare Resultat von einer internen Säuberung des Gettos, wobei man wieder ruhig atmet und sich denkt: Wir haben uns seiner entledigt"!

Exception italienne!

Der Mensch ist vielmehr wie ein Obst oder eine Pflanze als wie ein Tier und er wird vom bitteren Tod weh- und weggepflückt, nachdem er erst süß und reif geworden ist! Das haben Italiener mit Arcimboldos "Vier Jahreszeiten" besser verstanden als die Griechen damals mit ihrem "animal rationale", der den Menschen in seinem aktuellen Dasein zu beschreiben versucht unberührt vom Tod, unabhängig von seiner schicksalhaften Zeitlichkeit! 

Weg und Weh

"Heute ist weder der Anfang noch das Ende der Welt,
Oh es sind viel Weh und Freude hinter dem Vorhang verdeckt,
Wenn du der Mensch des Weges bist,
Lass dich weder die Entfernung noch die Verspätung härmen,
Du weißt, dass die Ankunft eine Laufkunst der Zeit ist,
Du bist der Schüler der Liebesschule,
Siehe, dass in jedem Schritt eine Spur von deinem Blut ist".

Hushang Ebtehaj (Sâyeh), Übersetzt von M. P. T.

Die Logik des freien Menschen

Die Logik des freien Menschen: Eine Logik der grünen Wiesen, der weiten Äcker und der ungeduldigen Reisfelder! Und seine Wahrheit eine adequatio luscinia et floris an einem Sommermorgen!

Mensch oder Dichter?

Was ist der Mensch? Ein Moment vor der Ewigkeit des Lebens! Und was ist ein Dichter? Ein Stück von dieser Ewigkeit im Herzen dieses Momentes!

Philosophenbedauern II

Der Philosoph kann nur ein Einziges bedauern: Nicht imstande zu sein, zu dichten, zu komponieren oder zu malen, um über jedwedes Verstehen-wollen oder Nicht-verstehen-wollen hinwegzukommen!

Philosophenbedauern I

Das Einzige Bedauerliche an der Philosophie: Die Angewiesenheit auf die Sprache als das Gemeingut der Menschheit, die erst verstanden werden muss. Was für eine Banalität!

Sokrates' Koneion

Sokrates' Verrat in der Geschichte bestand nicht nur darin, dass er den Rücken seiner eigenen Geschichte durch die Abschlachtung alles Tragischen gebrochen hat, sondern dass er auch das Schicksal der Philosophie als Höchststand des menschlichen Denkens durch die Einführung seiner idiotischen Dialektik mit der Akzeptanz, Bewilligung und Bestätigung des Denkthemas bzw. -vorgangs seitens der umstehenden Leute, die sehr oft keine Ahnung von all dem hatten, verbunden hat, damit die Philosophie das wird, was sie jetzt hauptsächlich ist: einseitig, unfrei und untragisch!

Seinsgefängnis II

In dem Gedanke Das Sein als Gefängnis, gibt es kein Außerhalb des Gefängnisses! "Die Strafe beginnt" erst außerhalb, da dieses Außerhalb ein Kontinuum des Innerhalb ist und der Unterschied ein ontologisch rein formaler ist.

Seinsgefängnis I

Die Andersartigkeit des Gefängnisses als ein Seiende, wobei die Beziehung zu anderen Seienden abgebrochen wird. Die Einschränkung der Freiheit ist in Bezug auf diesen Abbruch kausal nachträglich, da die Freiheit nichts anderes ist als der freie Umgang mit Seienden. Das Leben in diesem Abbruch verschafft eine andere Beziehung zum Sein. Fassbinders "Berlin Alexanderplatz" genauso wie Amir Naderi's "Marsiyeh" (Klagelied) sind filmische Darstellungen dieser andersartigen verwandelten Beziehung zum Sein durch das Gefängnis als ein andersartiges Seiende. Aber wo ist das Gefängnis? Und wie, wenn einem das ganze Sein zu einem Gefängnis wird?

Sinnenklammer

Das Leben scheint in zwei Fällen vollkommen absurd und zwecklos: Ein Mal in seinem möglichst großen und weiten Horizont, in seiner kosmischen und über alles Leben hinausreichenden Dimension, ein anderes Mal in seinem möglichst kleinen und engen Horizont, in der aktuellen Gegebenheit, in der unmöglich zu erfassenden und jedem Willen zur Macht vorangehenden Gegenwart! Alles andere, was den Rahmen dieses Größtmöglichen und Kleinstmöglichen sprengt, verschafft dem Leben einen Sinn! 

Fruchtbare Entfernung!

Das Göttliche an dem künstlerischen Schaffen ist, dass der Künstler mit dem Essenziellen, mit dem Eidetischen des Seienden anfängt und willkürlich zu der ontologischen Fülle des Seienden kommt, wobei er das Seiende in der Mannigfaltigkeit seiner eigenen Erscheinungen oder sogar in der Mannigfaltigkeit von den Erscheinungen eines anderen Seienden darstellen kann! Der Spielraum dieses Könnens zwischen dem Essenziellen des Seienden und der unendlichen Mannigfaltigkeit möglicher Erscheinungen (desselben oder anderer Seienden), was in der Tat dem Gegenvorgang einer phänomenologischen Reduktion ähnelt, verschafft der Kunst ihren Anspruch auf das Göttliche.

Phänomenologisches Manko

Das ursprüngliche Wesen des Lebens als Zwang, als ein unwillkürliches In-der-Welt-sein und das innerhalb dieses Zwangs gegebene, nach dem individuellen Willen gestaltete und einzig und allein auf Einzelgegenstände wirkende Freiheitsprinzip! Ein großer Widerspruch, ein Lebenswiderspruch! Die phänomenologische Freiheitsdefinition, also die Definition der Freiheit nach dem Spruch "ich kann, wenn ich will" übersieht vollkommen diesen Widerspruch und erweist sich dabei als unfähig, über das Leben in dieser seinen faktischen und individuellen Gegebenheit hinauszuschauen.

Ausdruck der Ewigkeit!

Was ist ein Frauentanz, wenn nicht das Symbol einer einstimmigen Welt, die ihr Entstehungsstadium hinter sich hat und sich für die Ewigkeit, für eine Kontinuität in der Unendlichkeit vorbereitet? Wenn der Tanz einer Frau das Symbol dieser Einstimmigkeit der Welt in ihrer unendlichen Kontinuität ist, muss in der Frau selbst eine Wesensentsprechung mit dieser Unendlichkeit geben, die sich nicht in einer statischen Bewusstseinsform, sondern eben in einer dynamischen Bewegungsform ausdrückt. 

Der romantische Nihilist

Der moderne Mensch und seine romantische Bestimmung durch den Nihilismus! Der moderne Mensch ist durch den Nihilismus insofern romantisch bestimmt, dass sich seine doxischen Überzeugungen lediglich in der Sphäre des Realen (physikalisch-ethisch-politisch-praktischer Natur) vorfinden und über diese Sphäre hinaus alles diese Überzeugungen bestreitende Ideal-Intellektuelle nicht nur den Status einer Verdächtigung trägt, sondern sich als "Agression" erweist. 

Abschied ohne Ressentiment

Das Erschütternde an Bruckners neunte, an der Abschied-Symphonie, an der "Abschied-vom-Leben"-Symphonie: Nicht, dass der Komponist das Moment des Abschiedes, der Trennung, symphonisch dichtet, nicht dass er überhaupt das Sehnsüchtige an dem Abschied musikalisch preist, sondern dass er aus dem Abschied vom Leben eine Hymne macht, um die Schönheit des Lebens auch vor dem Schatten des Todes noch einmal zu betonen!

Magische Dialektik des Teiles und des Ganzen

Was ist das Zauberische am Zauberberg oder an allem Zauberbergähnlichen? Eine merkwürdige Teil-Ganzes-Beziehung! Jeder Zauberberg wirkt durch seine Integralität, durch seine Ganzheitlichkeit, wobei jeder Teil dich anzieht und trotzdem alleine nicht ausreicht. Neigst du zu Teilen, ist dann das Ganze verloren, neigst du zum Ganzen, sind dann Teile verloren!

Schwäche des starken Geschlechts

Was lehrt uns Kubrick? Folgendes: Der Mann weiß niemals, wie eine Frau ist, was sie anstrebt und wovon sie träumt! Weiß er das, bricht er dann zusammen und bringt er sich in Gefahr. Wie ein Mann ist, was er anstrebt und wovon er träumt, braucht eine Frau im Gegenteil gar nicht zu wissen, da sie es schon weiß! Vor dieser weiblichen Lebens- bzw. Handlungswachheit ist ein Mann nichts anderes als blind! Lebens- und Handlungsblind! 

Philosophische Blindheit!

Das Ideale des philosophisch-wissenschaftlichen Denkens wird irgendwann insofern unmenschlich, dass es dank der permanenten Suche nach idealen Gesetzmäßigkeiten dem konkreten realen Schicksal des Menschen gar keine Achtung schenkt, als ob es gar nicht existierte und als ob es überhaupt keine Gesetzmäßigkeit hätte! Hier wird der Philosoph als die Augen der Menschheit selber blind!

Tragischer Akt

Dass das Theater in der Antike zum ursprünglichen Geburtsort der Tragödie wurde, war kein Zufall: Das Tragische ist phänomenal in der Handlung gegeben, das Tragische ist nichts anderes als der tragische Akt. Alles Theoretische kann auch tragisch werden, es sei denn, dass es eine Aktion verursacht, dass es sich in dem tragischen Akt konkretisiert.

Der moderne Absolutismus

Was beabsichtigt der moderne Mensch durch die Hermeneutik? Was sucht er im Relativismus? Und was erzielt er durch die Kompromisssuche? Eine "absolute" Herrschaft über Gott und die Welt! Ein unantastbares Mittel, alles Mögliche auch umkehrend umsetzen zu können: Das Gute als das Schlechte, das Schlechte als das Gute, das Schöne als das Hässliche, das Hässliche als das Schöne usw. Dafür braucht er nur die Hermeneutik, den Relativismus und Kompromisse als Zutaten des modernen Lebensgerichts.

Urmelancholie

Die Urmelancholie! Die Schwermut, im Sein zu sein; Die Schwermut, dass man ist, weil man ist, dass man lebt, solange man lebt. Die Urmelancholie als diese post-tragische Seinsschwermut hat keine objektive Kausalitätsform, ist synthetisch und beinhaltet das ganze Sein, indem sie auf nichts eingeht, genauso wie sie von nichts herkommt. Die Urmelancholie: Diese Freundschaft des Seins und des Nichts! 

Künstlerschaft der Moderne

Der moderne Mensch und seine intellektuelle Errungenschaft, sein denkerisches Künstlertum sozusagen: Der Ersatz jedweder Wahrheitsfrage durch eine Kompromisssuche. Das Mittel dazu: Die Hermeneutik! 

Völkeressentialismus

Was die Menschen miteinander verbindet und ihren Zusammenhalt über jedwede außerwesentliche Individualität hinaus verbürgt, ist genau das, was sie gleichzeitig ähnlich macht!

Göttlicher Verlust!

Wir haben eine göttliche Korrelativität erreicht: Wo du immer nicht da bist, habe ich das Gefühl, etwas verloren zu haben. Wer von uns ist nun ewig: du in deiner Abwesenheit oder ich in meiner Verlorenheit?

Motorische Leitung und Ethik des Körpers

Dass die Gefahr besteht, dass man stürzt, indem man seine eigenen Füße beim Hinabsteigen von Treppen überwacht, zeigt, inwiefern der vorbewusste Schematismus des Körpers als das innerste Leitorgane zuverlässiger und fehlerfreier ist als jedwede intellektiv-bewusste Aufsicht seines eignen Körpers.

Pedosophie!

Wenn das Thauma als Erstaunen das Wesen der Philosophie ist und wenn die Philosophie nur durch eine Erstaunenfähigkeit möglich ist, ist demnach in jeder Philosophie, mindestens in ihrer Fragestellung, etwas Kindliches dabei, das durch das konzeptuelle Wissen versteckt bleibt oder im Falle einer Konzept- bzw. Wissensbesessenheit umgebracht wird. Die Philosophie ist insofern zerrissen durch einen Infantilisumus und einen Infantizid! 

Kunstparadox

Ist das nicht das Paradox der Kunst, dass sie nur durch die Schönheit auf die Wahrheit eingeht, dass sie die Wahrheit nur durch die Schönheit geltend lässt und dass sie das Wahre in dem Schönen verfangen hält, damit nur das Schöne wahr ist?

Genieprodiktionsgesetzmäßigkeiten!

Die fehlende Geniekonzeption und die spießigen Kindererziehungsvorhaben: nicht die Erziehung, nicht die "éducation", sondern nur der Zufall macht einen zu einem Weltgenie! Absurd demgemäß elterlich schön aber naive Gedanken, aus Kindern Genies herausbasteln zu können, indem man sie als solche erzieht!

Hoffnungssuche

Die Geschichte nicht nur als Gesamtheit der in der Vergangenheit vorgekommenen Vorkommnisse, auch nicht als Horizont zu erlebender Ereignisse, sondern als die einzige aus der Tiefe der Vergangenheit kommende und in der Zukunft zu erfolgende Hoffnung: Die Hoffnung, eines Tages über all die von Gegenwärtigen betriebenen Miesheiten und Mittelmäßigkeiten hinweg zu kommen und von einem einzigen Unbekannten gelesen, gesehen, gehört und geliebt zu werden!

Die ganze Kunst der Liebe besteht in der Kontinuität, in der Fortsetzung des zweisamen Schicksals!